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„Come as you are und nimm dir, was dir guttut.“

20 Jahre lang hat das Stipendium die Arbeit von START geprägt. Jetzt wird aus START mehr als ein Stipendium. So will die Stiftung mehr Jugendliche erreichen und ihr Wirkungspotenzial besser ausschöpfen.

Gregory Grund ist seit 2020 bei der START Stiftung. Durch die Coronapandemie war START gezwungen, die Digitalisierung der Angebote schnellstmöglich voranzutreiben. Gregory, Erziehungswissenschaftler und Spezialist für Menschen in digitalen Umgebungen, baute schnell eine erste Version einer digitalen Plattform, auf der zum einen Lerninhalte digital ausgespielt werden konnten, auf der den Jugendlichen aber vor allem auch ein Miteinander im digitalen Raum ermöglicht werden sollte. Mittlerweile ist das Ziel, START auch zu einer digitalen Organisation um- und eine Plattform aufzubauen, auf der sich die interessierten Jugendlichen mit Migrationsgeschichte wohlfühlen. Im September 2023 startete nach einer ersten Testphase die Öffnung der Angebote auf dem digitalen START Campus.

Unser Interview

Lieber Gregory, START steht seit 20 Jahren für das Stipendium, für das Alumni-Netzwerk. Wird jetzt alles anders durch den START Campus?

Schauen wir mal. Wir glauben jedenfalls, dass unsere Community kleiner ist, als sie sein könnte. Und wir glauben, dass es eine Offenheit aufseiten der aktuellen und ehemaligen Geförderten gibt, selbst aktiv zu werden und die Chance zu nutzen, zum Beispiel als Mentorinnen oder E-Tutoren tätig zu werden, sich einzubringen und die wachsende Community mitzuprägen. Dadurch sehen wir die Chance, die Wirkung für die Jugendlichen zu vergrößern, indem wir ihnen Verantwortung geben und sagen: Du gestaltest die Community mit! Aus der Erfahrung von 20 Jahren sind wir recht sicher, dass es keinen Neid gibt oder den Anspruch der Stipendiatinnen und Stipendiaten, dass allein ihnen alle Ressourcen zustehen. Da wir mittlerweile mehrere ehemalige Geförderte im Team haben, konnten wir darüber ganz offen diskutieren und haben den Eindruck, dass eine Zielgruppenerweiterung im Sinne aller ist.

Was hat euch bewegt, zusätzlich zum Stipendium weitere Angebote aufzubauen?

Bisher lief es so: Aus den tausend Stipendiumsbewerbungen haben wir jedes Jahr die 180 ausgewählt, die am weitesten sind und am besten zu unseren Zielen passen. Zu den anderen 820 sagen wir: Danke für deinen hohen Aufwand, du kannst es nächstes Jahr noch mal probieren. Das tut in vielfacher Hinsicht weh. Den Jugendlichen gegenüber, aber auch aus Wirkungssicht ist es schmerzhaft. Deswegen öffnen wir das Programm jetzt: Alle, die sich bei uns beworben haben, bekommen ein inhaltliches Angebot. Alle können Teil der START Community werden, an Workshops – ausschließlich digital – teilnehmen und sich selbst weiterentwickeln. Der erste Testballon lief gut.

Fühlen sich Jugendlichen ohne Stipendium nicht mit einem Trostpflaster abgespeist?

Wir gehen davon aus, dass es viele Jugendliche gibt, die gerne ein niedrigschwelligeres Angebot als das Stipendium hätten. Die jüngsten Stipendiatinnen und Stipendiaten sind 14 Jahre alt und bereit, drei Jahre lang etwa 20 Prozent ihrer Lebenszeit mit uns zu verbringen. Das ist schon krass. Deswegen gehen wir davon aus, dass die anderen Jugendlichen nicht denken, dass andere mehr bekommen, sondern froh darüber sind, genau das zu bekommen, was sie gerade brauchen, und selbst entscheiden können, wie viel und womit sie sich einbringen. Jede und jeder Jugendliche mit Migrationsbezug ist eingeladen, sich umzuschauen, was es bei START so für Themen gibt, worum es geht, ob man sich wohlfühlt und ob es einem hilft, sich weiterzuentwickeln.

Wie ist das Feedback bisher?

Die wichtigste Erkenntnis: Die Wirkung fängt für die Jugendlichen nicht erst bei den Inhalten an, sondern schon viel früher. Nämlich wenn sie feststellen, dass hier Jugendliche aus ganz vielen Regionen Deutschlands zusammenkommen, mit denen sie das Gefühl teilen, nicht ganz heimisch zu sein, Ambitionen zu haben, die sie nicht ausleben können, sich nicht richtig verstanden zu fühlen. Und auf einmal haben sie einen Raum für sich, einen Safe Space. Gespiegelt zu bekommen, dass unsere Wirkung schon damit beginnt, dass wir einen sicheren Raum geben, wo die Jugendlichen sich über ihre Herausforderungen austauschen können, war wichtig für uns. Wir haben daraufhin – und bevor wir den START Campus ins Leben gerufen haben – unsere Wirkungsabsichten hinterfragt und herausgefunden, welches die Top drei der emotionalen Grundbedürfnisse sind: Bedeutsamkeit, Selbstwirksamkeit und mit großem Abstand auf Platz eins das Gefühl von Verbundenheit. Das ist eine wichtige Erkenntnis beim Bau einer solchen Plattform. Wir haben den Auftrag, eine Mischung aus Lernplattform und sozialem Netzwerk zu kreieren.

Vor welchen Herausforderungen steht ihr gerade?

Es passiert alles gleichzeitig. Wir haben nach dem Eintritt von Farid Bidardel als Geschäftsführer viel Mut bewiesen, viele etablierte Ansichten zu hinterfragen. Allein dass START sich traut, die heilige Kuh des Stipendiums ein Stück weit zu transformieren, und einzusehen, dass nicht alle Ressourcen für „nur“ 180 Jugendliche zur Verfügung stehen, macht viel mit dem Selbstverständnis. Dann haben wir die ganze technologische Transformation und befinden uns in einem Organisationsentwicklungsprozess. Gerade bei START – wir haben ja ein relativ junges Team – spürt man viele Themen, die man klassischerweise der Generation Z zuschreibt, zum Beispiel was die Zusammenarbeit oder die Frage nach hierarchie- oder kompetenzbasierten Entscheidungen angeht. Es ist also alles recht fluide gerade, aber das passt zu uns und ist nötig. Denn letztlich zahlt das alles darauf ein, unsere Wirkungslogik anzupassen, mit digitalen Werkzeugen zu agieren und die Verantwortlichkeiten im Team zu gestalten. Das gehört alles zusammen.

Was erwartet die Jugendlichen beim Online-Angebot auf dem Campus?

Wir wollen verschiedene Nutzungsszenarien ermöglichen: synchrones Lernen in gemeinsamen Veranstaltungen oder Projektgruppen, aber unbedingt auch Angebote, die zeit- und ortsunabhängig sind. Wenn sich jemand um drei Uhr nachts damit beschäftigen möchte, weil er vielleicht gerade in einer anderen Zeitzone ist, dann möchten wir das ermöglichen. In der Rubrik „Mein Haus“ finden sich verschiedene Räume, die bestimmte Themen symbolisieren. Im „Badezimmer“ geht’s um Persönlichkeitsentwicklung, in der „Küche“ um Engagemententfaltung und so weiter. Alle Teilnehmenden können sich aus den Angeboten ihr individuelles Paket zusammenstellen, je nach Lust und Interesse. Wir versuchen natürlich, sie dazu zu bewegen, möglichst viel mitzunehmen, aber es bestehen keine Verpflichtungen. Unser Credo: „Come as you are und nimm dir, was dir guttut!“

Und wie lange verbleiben die Jugendlichen auf dem Campus?

Wir glauben, dass es gut wäre, das Angebot so zu gestalten, dass alle Jugendlichen so lange bleiben und teilnehmen können, wie sie es selbst für richtig halten. Wir wollen weg von dem Szenario, dass man sich einmal im Jahr bei START bewerben und in die Community gelangen kann. Wir wollen das offener gestalten und mehr Jugendlichen die Möglichkeit geben, sich weiterzuentwickeln und zu lernen. Heißt auch, dass es erst mal kein Aufnahmelimit gibt. Aber im Moment testen wir vieles noch aus und es können sich Sachen ändern.